Donnerstag, 15. März 2018

Station17 - Blick

Quelle: 17rec.de
(ms) Als Rezensent von Musik steht man manchmal vor einem Dilemma. Dieses hier könnte eines sein, deren Gedanken weit über den Ottonormalkosmos der Branche hinaus geht. Eine wichtige Frage für eine Besprechung lautet stets: Was sind die Parameter, an der ich neue Musik messe? Was sind meine Grundpfeiler, an denen ich mich orientiere, um Material zu besprechen? Als Profi ist diese Frage sicherlich noch schwieriger zu beantworten als für uns Leidenschaftler. Denn wir sind von niemandem abhängig, bekommen für unsere Arbeit kein Geld, müssen nicht zwingend jemandem mit unserer Meinung gefallen. Auf der anderen Seite können wir auch viel schneller unseren liebsten Bands ganz voreingenommen begegnen und aus den Fingern eine Lobeshymne schreiben. Ein Verriss oder ein Candystorm bleiben gewissermaßen für unsere Arbeit folgenlos - eine etwas nüchterne Bilanz, aber okay.

Als professioneller Journalist, darf man eben nicht voreingenommen sein, muss objektiv und dennoch meinungsstark sein. Eine wunderbare Herausforderung an einen wunderbaren Beruf. Und damit sind wir mitten im Thema. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie man der Zusammensetzung von Station17 begegnen soll. Möglichkeit 1: Ich höre mich in die Musik hinein, sammle Eindrücke und Bilder, die im Kopf entstehen und lasse sie mit sachlichen Informationen zu einer Rezension verschmelzen. Möglichkeit 2: Ich lasse mich vom Gewicht der Hintergrundinfos sanft leiten und ordne darin die Musik ein.
Warum dieses Gedankenspiel?
Station17 besteht aus Menschen mit und ohne Behinderung. Zack! Schon sieht man sich in einer sozialwissenschaftlichen Diskussion: Kategorisieren oder nicht? Welchem Gewicht lasse ich dieser Information zukommen? Blende ich es aus? Darf ich die Musik schlecht finden? Wäre das angemessen? Will ich gefallen mit dem Beitrag, um nicht als reaktionär zu gelten? Lobe ich es in dem Himmel, obwohl ich damit nichts anfangen kann? Ist mir die Diskussion zu fern und ich schreibe gar nichts mehr darüber? Halte ich das Projekt für sozialromantischen Quatsch und belächle es geringschätzig? Spreche ich von Inklusion oder von Diversität?

Herrje. All diese Fragen kann man jetzt beantworten, der schönen Platte Blick ein unangemessen schweres Gewicht beimessen oder einfach das tun, was man immer tut: Hören, reindenken, Gefühle sammeln, das ganze kanalisieren und versuchen passende Worte dafür zu finden.

47 Minuten, neun Lieder. Das macht über fünf Minuten im Schnitt, nicht übel. Damit wäre man beinahe beim aktuellen Editors-Album oder fast in den Sphären von Sigur Rós. Aber okay, das betrifft wirklich nur die Länge. Die Musik, der Klang hat weder mit den Briten noch mit den Isländen im entferntesten was zu tun. Bei Berichten über Station17 kommt schnell das Wort Krautrock um die Ecke. Für die Benutzung bin ich zu jung. Ich würde es als experimentellen Indierock mit Electropop-Elementen bezeichnen.
Bei jedem Lied ist ein Gast dabei, mal einzelne Personen wie Andreas Spechtl oder Andreas Dorau und dann Kollektive wie Schneider TM oder Datashock. Und genau so abwechslungsreich ist das ganze Album in Klang und Gestalt und Text. Einige sind etwas mysteriös (Der Schimmelreiter rückwärts), andere wieder auf angenehm leichte Weise unterhaltsam (Schaust Du). Es ist eine Platte, die den Hörer fordert, denn es ist kein einfaches Material, ab und an (z.B. bei Ein Knall) wird es auch mal sperrig beim Mix aus Gesprochenem und treibenden Beats. Das macht jedoch nach mehrmaligem Hören auch richtig Laune!
Da halt auch die Sänger variieren, klingt es wie eine Kompilation. Und genau das hat System, denn Station17 existiert seit enorm langer Zeit und seit jeher in wechselnder Besetzung. Seit 1990 wird unter dem Namen Musik veröffentlicht. Herrje, da wurde ich geboren! Umso einleuchtender, dass sie im Laufe der Zeit akribisch teilnehmende Beobachter des musikalischen Wandels sind.

All das schlägt sich auf Blick nieder.
Ein Album, das man am besten in Ruhe, dann aber laut aufgedreht und mit einem guten Tropfen genießen sollte. Es ist vielseitig, tiefsinnig, bunt und schön. Und da interessiert es auch irgendwann nicht mehr, wie die Musiker leben. Das, was sie geschaffen haben, ist große Klasse!
Blick ist am 9. März auf Bureau B erschienen.

Hier sind sie bald live zu sehen:

09.03.2018 - Berlin - Kantine am Berghain
16.03.2018 - Münster - Gleis 22
17.03.2018 - Ihrhove - Limit
24.03.2018 - Esslingen - Komma
25.03.2018 - Nürnberg - Z-Bau / Galerie
06.04.2018 - Hamburg - Kampnagel
05.05.2018 - Dortmund - DortBunt! Cityfest
10.05.2018 - Mainz - Schon Schön
11.05.2018 - München - Milla
19.05.2018 - Flensburg - Volksbad
26.05.2018 - Darmstadt - Centralstation
02.06.2018 - Dannenberg - Krautfest
09.06.2018 - Bergisch Gladbach - Zesamme Open Air
25.07.2018 - Oldenburg - KulturSommer
11.08.2018 - Süderstapel - Rock an der Eider
18.08.2018 - Braunschweig - Rock an der Wabe
13.09.2018 - Peine - Forum



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