Dienstag, 25. Oktober 2016

Brandt Brauer Frick: "Joy"?

Klangkünster unter sich. Foto: Max Parovsky.
(ms) These: Es gibt keine Grenze mehr zwischen Klassik und populärer Musik im Allgemeinen. Das Zeitalter der Unterscheidung zwischen U- und E-Musik, also unterhaltender und erster Musik, die insbesondere bei/für die GEMA getroffen wird, ist vorbei. Die Kriterien sind obsolet. Wo soll diese Grenze gezogen werden? Ist es überhaupt sinnvoll, sie zu ziehen? Das sind Fragen, die Sprengstoffwirkung entfalten können, stellen sie doch das Selbstverständnis klassischer Musik infrage.
Damit provozieren auch Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick. Vor acht Jahren zusammengefunden, nennen sie sich der Einfachheit wegen Brandt Brauer Frick, für alle die nichts mit Lautmalerei anfangen können. Die drei jungen Herren sind klassisch an ihren Instrumenten ausgebildet worden und könnten theoretisch in einem Orchester oder großen Ensemble spielen. Wollen sie aber nicht. Vielmehr wollen sie die musikalischen Sphären auf den Kopf stellen und mit ihren Möglichkeiten tanzbare Musik machen. Wieder sind wir beim Crossover. Ohne Gesang angefangen, bringen sie am Freitag über Because Music ihr viertes Album raus. Diesmal weitestgehend mit Gesang. Und zwar vom Kanadier Beaver Sheppard, der auch mit einer herrlich lachenden Fratze das Albumcover ziert!
Der Anspruch live mit großem Ensemble elektronische Tanzmusik zu machen ist hoch, und sie erfüllen in im höchsten Maße!




Das Album hört auf den Titel "Joy". Freudvoll soll es also zugehen. Lockerheit, Leichtigkeit, gute Stimmung. Das wären die ersten Assoziationen.
Für die zehn virtuosen Tracks ist das nicht zu behaupten. Klarstellung: Damit ist keineswegs gemeint, dass das Album schlecht ist. Im Gegenteil! Der Titel passt halt nur nicht so gut zum Sound.
Der Klang ist kompliziert, manchmal zerfahren, manche Rhythmen sind entgegengesetzt, anspruchsvoll geht es durchaus zur Sache. Aber auch so melodisch, dass man sich tanzend im Klang verlieren kann!
Es ist Techno, Minimal, Pop, Indie, Electro, Großstadtsound.
Manchmal brechen die Tonreihen auseinander, setzen sich wieder zusammen, lassen in einem Song mehrere entstehen. Vielleicht eine wilde Mischung aus dem sehr frühen Klang von Kante und Anleihen von The Streets.
"Blackout 94" ist beinahe disharmonisch, dadurch aber so spannend. "You Can Buy My Love" eignet sich gut als Single (siehe oben), geht super ins Ohr. Beaver Sheppard singt oder redet dabei auf Klangkollagen oder klingt wie eine alte Radiodurchsage wie auf "Society Saved Me".
Letzteres zieht den Spannungsbogen einiger Songs exemplarisch auf. Man kann sich entscheiden: Höre ich die Platte als Hintergrundmusik oder drehe ich sie so weit auf, dass ich mich in Raum und Zeit verliere?
Im schwirrenden Bläser-Sound von "Oblivious" kann man schön erhören, wie weit eine Bearbeitung vom ursprünglichen Klang eines Instruments ausgereizt werden kann.
Immer wieder rauschen Streicher-("Facetime") oder Klavier-Melodien durch die arrangierten Sythieteppiche und Soundschnipsel. Man muss sich beinahe etwas orientieren.
Da der Gesamteindruck etwas leicht Melancholisches hat, passt auch der Titel nach mehrmaligem Hören nicht. Doch genau da, wo Brandt, Brauer und Frick ihre Hörer herausfordern, liegt ihre Stärke. Hier liegt kein Album vor, das mal ebenso als gut oder schlecht bezeichnet werden kann, ohne zu argumentieren.
Daher legen wir Euch "Joy" sehr ans Herz. Man muss sich damit auseinandersetzen!

Hier sind sie demnächst live:

27.10. New Fall Festival - Düsseldorf
28.10. Pitchfork Festival - Paris
29.10. New Fall Festival - Stuttgart
30.10. Deutsches Jazzfestival - Frankfurt
01.11. Fri-Son - Fribourg
02.11. Bern - Dachstock-Reitechule
03.11. Zurich - Theater Moods
15.02. München - Strom
10.11. Berlin - Gretchen
11.11. Hamburg - Uebel & Gefahrlich
12.11. Leizpig - Audioinvasion @ Gewandthaus

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